Apples Büro aus der Zukunft

Mein Bericht für dpa, erschienen u.a. bei sueddeutsche.de, Stern.de, Focus.deN24 und in der Berliner Zeitung.

Foto: Duncan Sinfield/dpa
Foto: Duncan Sinfield/dpa
Mitten im Silicon Valley landet ein architektonisches Raumschiff: Der neue Apple-Campus wird rund und gläsern und soll bald 13.000 Mitarbeitern Platz bieten - in einem einzigen riesigen Gebäude. Es wird Standards setzen für das Büro von morgen. Aber Apple braucht offenbar noch viel mehr Platz ...
Cupertino - Wenn Apple baut, dann groß. Ein Gebäude, das sie selbst «Spaceship» nennen, mit 260 000 Quadratmetern Platz und einem Außenumfang von 1,6 Kilometern. Man könnte auch an einen gläsernen Riesen-Donut denken, das Loch in der Mitte wird der grüne Innenhof. Durch die großen Glasflächen sollen die Mitarbeiter sich eins fühlen können mit der Natur.

In den Untergrund wird ein versunkenes Auditorium gebaut mit Platz für 1000 Menschen, hier werden künftig die neuen Apple-Produkte vorgestellt. Das ganze Gebäude schwebt praktisch unterirdisch - man nennt das seismische Isolation -, was im Fall eines Erdbebens Menschenleben retten soll. Es baut der britische Star-Architekt Norman Foster, der schon das Londoner Wembley-Stadion und den Berliner Reichstag neu gestaltet hat.

 

Die Kosten sind explodiert: von geplanten knapp 3 Milliarden Dollar auf schätzungsweise fünf Milliarden, die genaue Summe verrät Apple nicht. Der neue Campus wächst unterdessen unübersehbar. Immer wieder tauchen Drohnen-Videos von dem Gelände im Netz auf. Zuletzt durfte TV-Veteran Charlie Rose die Baustelle ganz offziell für die CBS-Sendung «60 Minutes» mit Apple-Designchef Jony Ive besichtigen. Ende 2016 soll «AC2» (Apple Campus 2) eröffnet werden. Die bisherige Firmenzentrale mit der legendären Straßenadresse «1 Infinite Loop» mit aktuell 25 000 Mitarbeitern wird Apple weiter behalten.

 

Apples Heimat

 

Für eine kleine Stadt wie Cupertino ist das eine große Sache. Der Ort im Silicon Valley war gerade zwanzig Jahre alt, als Steve Jobs hier 1976 Apple gründete. Cupertino, eine Stunde südlich von San Francisco hat heute 60 000 Einwohner. Stadtsprecher Rick Kitson sagt: «Apple hätte seinen zweiten Campus überall bauen können, wir sind stolz darauf, dass der Konzern Cupertino treu bleibt.»

Kitson weiß aber auch um die Probleme, die das neue Gebäude vermutlich bringen wird. Der Verkehr wird wohl noch schlimmer werden. Auch wenn Apple verspricht, seinen firmeneigenen Mitarbeitertransport um 20 Prozent aufzustocken, bedeutet das nur noch mehr weiße Shuttle-Busse, die zwischen San Francisco und Cupertino pendeln und die zum Sinnbild der Gentrifizierung einer ganzen Gegend geworden sind. Auch die Preise für die Wohnungen und Häuser in der Region dürften weiter steigen. Und es wird noch voller werden im ganzen Valley, der zersiedelte Charakter wird immer mehr verschwinden.

 

Bau-Boom im Silicon Valley

 

Apple ist hier nicht der einzige Bauherr. Facebook hat erst 2015 seine neue Firmenzentrale eröffnet, Google plant ebenfalls mehrere Neubauten. «Sie warten hier im Moment 18 Monate auf einen Baukran», sagt Chad Leiker von der gewerblichen Immobilienmaklergesellschaft Kidder Mathews. «Die meisten Gebäude in der Bay Area sind in den späten Siebzigern, Anfang der 80er Jahre gebaut worden. Die sind inzwischen wirtschaftlich unbrauchbar. Also baut die ganze Tech-Branche neu, aber was Apple da macht, schlägt alles.»

Die Firma baut aktuell nicht nur das Spaceship, sondern hat in den vergangenen Jahren und Monaten weitere Grundstücke in der Umgebung gekauft oder gepachtet - in San Francisco, Sunnyvale, San Jose und Santa Clara. «Wofür brauchen sie soviel Platz?», fragt sich Leiker. «Offensichtlich arbeiten sie an etwas, das größer ist als ein iPhone.» Der Immobilienagent spielt auf das Gerücht an, dass auch Apple am selbstfahrenden Auto forscht.

 

Nach einer Idee von Steve Jobs

 

Im Juni 2011, vier Monate vor seinem Tod, präsentierte Steve Jobs vor dem Stadtrat von Cupertino seine Vision des Campus 2: «Ich will das beste Bürogebäude der Welt bauen», so warb Jobs damals um die Baugenehmigung. «Es soll so gut werden, dass Architekturstudenten kommen, um das zu sehen.»

Richard Pollack vom Architekten Institut Amerika (AIA) steht vor dem grünen Baustellenzaun und sagt: «Es ist architektonisch wirklich spektakulär, so muss man heute bauen.» Es sei eine Sache, den Campus rund zu gestalten, aber dann eben auch das Glas zu biegen, das sei typisch Apple. «Sie denken Design wirklich im Detail.» Dieses größte Stück gebogenes Glas, das es auf der Welt gibt, lässt sich Apple aus Deutschland zuliefern, vom schwäbischen Mittelständler Seele.

 

Think Green

 

Der ganze Campus wird zu 80 Prozent begrünt sein. Alle Pflanzen müssen dürrebeständig sein, es soll möglichst wenig gegossen werden. Die Bäume, die schon vorher hier standen, werden wenn möglich umgepflanzt und erhalten, gut 2000 kommen neu dazu. Die Tiefgarage fasst 10 000 Autos. Der Campus soll sich zu hundert Prozent durch erneuerbare Energien versorgen. Dafür werden Solarpaneele aufs Dach gelegt und ein kohlenstoffarmes Kraftwerk auf das Gelände gesetzt. Eine Naturzuglüftung wird die Klimaanlage weitestgehend ersetzen.

 

Der Kampf um die Talente

 

Für die Apple-Mitarbeiter werden auf dem 700 000 Quadratmeter-Campus kilometerlange Lauf- und Fahrrad-Wege angelegt. Ebenfalls auf dem Gelände: ein 70 Millionen-Dollar teures Wellness-Center. Die Botschaft ist klar: Du musst nicht mehr nach Hause, Du kannst auch Deine Freizeitaktivitäten gleich hier bei der Arbeit erledigen. Mit derlei Annehmlichkeiten buhlen die großen Tech-Unternehmen um die besten Softwareexperten, Datenanalysten und Social Media-Strategen. In der aktuellen Erhebung "Best Places to Work" belegt Apple Platz 25 in den USA. 

 

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Wenn der Roboter am Steuer sitzt

In 15 Jahren werden selbstfahrende Autos auf den Straßen wohl einfach dazugehören. Doch auch Roboter-Wagen kommen in Situationen, die für Menschen lebensbedrohlich sein können. Forscher sind dabei, den rollenden Maschinen das Entscheiden im Notfall beizubringen. Eine Reportage aus dem Silicon Valley.

Chris Gerdes in der Stanford-Forschungsgarage. Foto: C. Hübscher
Chris Gerdes in der Stanford-Forschungsgarage. Foto: C. Hübscher

 

San Francisco (dpa) - Chris Gerdes denkt viel nach über Computer auf vier Rädern. Also über selbstfahrende Autos. Sogar dann, wenn er mit seinem Rennrad über die Hügel von San Francisco kurvt. Neulich hatte er dabei wieder so einen Geistesblitz: Die Autos, die ihn überholten, wichen großzügig aus, sie überfuhren die doppelt durchgezogene, gelbe Mittellinie. Würde ein selbstfahrendes Auto das auch tun, fragte er sich. Die kalifornische Straßenverkehrsordnung verbietet das Kreuzen der Mittellinie. Das Computer-Hirn im Fahrzeug würde sich wohl an die Regeln halten.

«Wir haben hier also ein gelerntes menschliches Verhalten, das gesellschaftlich sogar erwartet wird: Platz machen für Fahrradfahrer. Das aber eigentlich nicht legal ist», sagt Gerdes, Professor an der Elite-Universität Stanford. «Wie bringen wir einen solchen erwünschten Regelbruch dem autonomen Auto der Zukunft bei? Und macht die Mittellinie für ein Roboter-Fahrzeug überhaupt noch Sinn?»

Gerdes geht davon aus, dass ein autonomes Auto die Situation viel besser einschätzen kann als jeder Mensch. Der Wagen beobachtet die Umwelt mit seinen Sensoren und Kameras. Das Auto wird den Radfahrer also sowieso nur überholen, wenn ihm nichts entgegenkommt. Und es wird dem Radler so viel Raum wie möglich geben. Für Autos, die ohne Fahrer auskommen, werden Fahrbahnmarkierungen in Zukunft also womöglich ihre Bedeutung verlieren. 

 

WENN PLÖTZLICH JEMAND VORS AUTO SPRINGT

Gerdes forscht in der US-Technologie-Hochburg, im Silicon Valley, zu selbstfahrenden Autos. Er berät die kalifornische Straßenbehörde DMV und die Industrie. So hören, wie er erzählt, auch deutsche Autobauer wie Mercedes-Benz und Zulieferer wie Bosch auf seinen Rat.

Mit Doktoranden steht er regelmäßig an einer Teststrecke. Gerade untersuchen sie, wie Shelley, ein umgerüsteter Forschungs-Audi mit unerwarteten Situationen umgeht. Zum Beispiel damit, dass hinter jedem am Straßenrand parkenden Auto plötzlich ein erwachsener Fußgänger oder gar ein Kind hervorlaufen kann.

Wie können die Hersteller selbstfahrende Autos darauf vorbereiten? Wie programmiert man eine solche «Hab-Acht-Stellung» ins Fahrzeug? «Wir werden nie ein perfektes System bauen», räumt Gerdes ein. «Aber wir müssen versuchen, es so sicher wie möglich zu machen.» 

Philosoph Patrick Lin im Forschungsfahrzeug. Foto: C. Hübscher
Philosoph Patrick Lin im Forschungsfahrzeug. Foto: C. Hübscher

 

EINE FRAGE FÜR PHILOSOPHEN

Bei der mühsamen Kleinarbeit an der Schaltzentrale der Zukunftsautos stellen sich die Forscher viele Fragen - manchmal sehr praktische, manchmal exotische. So bekam Gerdes vor einiger Zeit eine E-Mail von Patrick Lin, einem Philosophieprofessor in San Luis Obispo, gelegen auf halber Strecke zwischen San Francisco und Los Angeles. «Denken Sie auch über all die ethischen Fragen nach, die die autonomen Autos uns bringen werden?», wollte Lin von Gerdes wissen.

Seitdem forschen die beiden Wissenschaftler gemeinsam. Der Philosoph entwirft ein Szenario, der Ingenieur sucht nach technischen Antworten. Zum Beispiel: Stellen wir uns vor, unser Auto kommt in eine Gefahrensituation und kann einem Crash nur noch entgehen, indem es nach links ausweicht. Dort würde der Wagen eine achtzigjährige Großmutter töten. Er könnte auch nach rechts umlenken, wo er in ein achtjähriges Mädchen steuern würde. Wie soll das Auto entscheiden?

Der Philosoph Lin sagt: «Es gibt nicht die einzig richtige Antwort hier, das liegt in der Natur des ethischen Dilemmas. Man könnte einerseits argumentieren: Die Großmutter hat schon ein erfülltes Leben hinter sich. Oder aber: Das Mädchen hat die flexibleren Knochen und wird den Zusammenstoß vielleicht eher überleben.» 

Kameraaufnahme aus selbstfahrendem Auto. Quelle: Daimler AG
Kameraaufnahme aus selbstfahrendem Auto. Quelle: Daimler AG

 

Der Autobranche selbst sind solche Fragen spürbar unangenehm. Die Hersteller betonen, Autos würden nicht dahin programmiert, zwischen verschiedenen Opfertypen zu unterscheiden. Vielmehr sollen die Fahrzeuge generell jede Kollision vermeiden. Erst recht, wenn es um ungeschützte Fußgänger und Radfahrer geht.

Ein wichtiges Argument für mehr Sicherheit, wenn der Computer die Kontrolle übernimmt, ist die traurige Realität auf den Straßen: Sowohl in den USA als auch in Deutschland ist der Mensch am Steuer für die Masse der Unfälle verantwortlich: durch Fehler beim Abbiegen und Rückwärtsfahren, zu nahes Auffahren, aggressives Verhalten, Rasen, Alkohol am Steuer. So sind zum Beispiel in Deutschland 2015 rund 35 Prozent aller Verkehrstoten Opfer von Unfällen mit nicht angepasster Geschwindigkeit.

Experten erwarten, dass es durch autonome Fahrzeuge drastisch weniger Unfälle geben wird. Trotzdem fordert Philosophieprofessor Lin eine gesellschaftliche Diskussion über die ethischen Fragen: «Wie kommen die Programmierer zu ihrer Entscheidung? Haben sie die Konsequenzen durchdacht? Wenn nicht, wird jedes Gericht sie im Ernstfall als fahrlässig und moralisch unverantwortlich verurteilen.» Und Lin rät, dass die Autoindustrie über ethische Fragen offen sprechen sollte. «Macht sie das nicht, wird dieses Informationsvakuum von anderen mit Spekulationen und Ängsten gefüllt werden.» 

TESLA UND GOOGLE: DER CRASH MACHT UNSICHER

Für einen Aufschrei sorgte im Mai 2016 der erste tödliche Unfall mit einem gerade vom Computer gesteuerten Tesla im US-Staat Florida. Der Wagen war nicht komplett autonom, er fuhr im sogenannten Autopilot-Modus. Dabei handelt es sich um ein ausgeklügeltes Assistenzsystem, das vom Fahrer bewusst angeschaltet werden muss und dann unter anderem Spur und Abstand halten soll. Und der Elektroautobauer fordert die Menschen auf, die Hände nie vom Steuer zu nehmen und die Verkehrslage im Blick zu behalten.

Der Fahrer des Unfallwagens soll jedoch einen Film geguckt haben, als das Auto in einen Lastwagen krachte, der die Straße querte. Die US-Verkehrsbehörde NHTSA stellte in ihrem Untersuchungsbericht fest, das Assistenzsystem habe wie zugesichert funktioniert, der Fahrer hätte sich aber nicht auf die Technik verlassen dürfen.

Auch Roboterwagen geraten in Unfälle - meistens fahren unachtsame Menschen auf die korrekt fahrenden Testautos auf. Anfang 2016 jedoch provozierte ein Google-Auto selbst einen Blechschaden, als es beim Umfahren eines Hindernisses einem Bus in den Weg steuerte.

 

Aktuell sorgt noch fast jeder Zwischenfall für Schlagzeilen. Experten erwarten, dass diese Phase mit mehr Wagen und immer besserer Technik vergehen wird. 2016 jedoch fürchteten sich drei von vier Amerikanern davor, von einem selbstfahrenden Auto durch die Gegend chauffiert zu werden. Auch bei den Deutschen ist die Skepsis groß. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Deloitte haben auch hier 72 Prozent das Gefühl, die Sicherheit im autonomen Modus reiche noch nicht aus. 

 

Dabei war es ausgerechnet ein Deutscher, der die aktuelle Roboter-Wagen-Welle entscheidend anschob: Sebastian Thrun war Professor für Künstliche Intelligenz in Stanford und entwickelte dort den autonomen Wagen Stanley auf Basis eines VW Touareg. Mit ihm gewann Thrun 2005 die DARPA Grand Challenge, einen Wettbewerb des US-Verteidigungsministeriums. Daraufhin engagierte ihn Google, um für den Konzern den ersten Prototypen zu bauen.

Google startete 2009 Tests mit Roboter-Wagen auf der Straße und setzte mit dem Projekt auch etablierte Autokonzerne unter Zugzwang. Seit kurzem stellt die Google-Schwesterfirma Waymo Familien selbstfahrende Minivans für den Alltag zur Verfügung. Zu den ersten 100 gemeinsam mit dem Hersteller Chrysler umgebauten Fahrzeugen sollen 500 weitere hinzukommen.

 

Dirk Wisselmann. Foto: BMW AG
Dirk Wisselmann. Foto: BMW AG

Auch die großen deutschen Autobauer forschen im Silicon Valley und sind mit Testlizenzen unterwegs. So will BMW 2021 gemeinsam mit Intel ein vollautonomes Auto auf die Straße bringen.

Der Mann für ethische Fragen im BMW-Konzern, Dirk Wisselmann, berichtet, dass man viel an Szenarien arbeite, wie sie der Philosoph Lin entwirft. Zugleich versichert er, dass ein Algorithmus - also eine Computerregel - mit Wertungen wie «Kind geht vor Großmutter» niemals in ein deutsches Auto hinein programmiert werden dürfte. «Das verstößt gegen das Grundgesetz. Die Antwort kann immer nur lauten: Sachschaden vor Personenschaden.»

Für Wisselmann ist das Szenario zunächst ein einfacher technischer Algorithmus: «Das Auto erkennt, dass vor ihm ein Objekt ist und wird daraufhin sofort bremsen und dann versuchen, noch nach links oder rechts auszuweichen.»

 

Weil allgemein davon ausgegangen wird, dass die vollautonomen Wagen oft eher langsam unterwegs sein werden, sieht Wisselmann keine große Gefahr für Fußgänger. «Bei 30 Kilometer pro Stunde in der Innenstadt ergibt sich ein Bremsweg von etwa 4 Metern. Bei dieser Geschwindigkeit bleiben etwa 50 Zentimeter, die ein Auto nach links oder rechts ausweichen könnte. Also, wie realistisch ist dann ein solch dramatisches Szenario noch?» 

Mirko Franke. Foto: Bosch
Mirko Franke. Foto: Bosch

 

NICHT ALLES MACHEN, WAS GEHT

Mirko Franke, Entwickler bei Bosch, sieht sich stärker in der Moral-Zwickmühle: «Technisch sind wir längst so weit, dass die Sensoren gut erkennen, was sich um das Auto herum tut. Eine etwa einen Meter große Person ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Kind, jemand mit einem Stock wahrscheinlich ein älterer Mensch. Wir könnten all das also heute schon berücksichtigen. Aber wir tun es nicht.» Das Auto solle nur einen Fußgänger erkennen, mit dem ein Unfall zu vermeiden ist, und zum Beispiel mit einer Notbremsung auf ihn reagieren, egal ob Oma oder Kind.

«Wir weisen unsere Entwickler nicht an, in einer solchen Dilemma-Situation Schicksal zu spielen und hart rein zu coden, dass das Leben eines Kindes mehr wert sei als das einer älteren Frau», betont Franke. «Was ethisch ist und was nicht, ist eine gesellschaftliche Frage, das können wir nicht als Unternehmen festlegen. Deshalb begrüßen wir auch die Einrichtung einer Ethikkommission in Deutschland und warten hier auf die Empfehlungen.» 

Alison Chaiken. Foto: privat
Alison Chaiken. Foto: privat

 

Die Deutschen sind gewohnt vorsichtig. US-Wettbewerber wie Tesla und Waymo wollen sich zum Thema Ethik erst gar nicht äußern. Und dann sind da noch die vielen Start-ups. So wie Peloton. Die Firma entwickelt führerlose Lastwagen für das sogenannte Platooning. Dabei sollen Fahrzeuge automatisch gesteuert in Kolonne fahren. Ziel: den Treibstoffverbrauch und das Unfallrisiko zu senken.

Software-Entwicklerin Alison Chaiken sagt: «Ingenieure wollen coole Sachen bauen und kümmern sich nicht so sehr um die Konsequenzen.» Die Frage nach dem Unfallszenario des Philosophen Lin erstaunt Chaiken: «Als ich meinen Führerschein gemacht habe, wurde ich niemals gefragt, wie ich mich im Ernstfall zwischen einem achtjährigem Mädchen und der achtzigjährigen Großmutter entscheiden würde. Und jetzt fahre ich schon 35 Jahre Auto und bin noch nie in einer solchen Situation gewesen.» 

Typisch Silicon Valley, sagt dazu Stefano Marzani, italienischstämmiger Programmierer aus einem Auto-Start-up. Er hat jüngst eine Debatterunde mit dem Namen «Tech Ethics» gegründet. Dazu lädt er Experten ein, um vor Gästen über brennende Fragen bei neuer Technik zu diskutieren. «Die Start-ups hier denken alle nur an Lokalisierung, Umgebungserkennung und Kostenfunktionen. Niemand von denen kümmert sich um die Moral. Aber das sollten sie, denn das wird eine Revolution», meint Marzani.

  

 

IST EIN NOTFALLKNOPF DIE LÖSUNG?

Nach den ersten Kollisionen wird über Roboter-Autos zumindest schon diskutiert. Dabei ist immer wieder vom großen roten Not-Knopf die Rede. Damit könnte der Mensch beim hochautomatisierten Fahren im Krisenfall die Kontrolle wieder übernehmen. Aber wie realistisch ist das? BMW hat es getestet: «Wir haben über 400 Fahrsimulationsversuche gemacht, wo wir Realfahrer - natürlich unter Laborbedingungen - mit solchen Situationen konfrontiert haben», sagt Wisselmann.

«Man schickt den Fahrer dabei in die komplette Ablenkung, zum Beispiel liest er ein Buch, wenn plötzlich ein Warnton im Auto ertönt. Der Fahrer muss sich dann in kürzester Zeit orientieren und ein Manöver einleiten, also bremsen oder ausweichen», so der deutsche Experte. «Die Ergebnisse waren erstaunlich, die Schnellsten brauchten in einfachen Situationen nur zwei bis drei Sekunden.»

Stanford-Professor Gerdes hält menschliches Eingreifen dagegen für keine gute Idee. «Die meisten Unfälle werden heute dadurch verursacht, dass wir Menschen falsch auf unvorhergesehene Situationen reagieren.» Mit dem Notfallknopf bekomme man die Kontrolle zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt. «Nein, das Auto sollte seine eigenen Entscheidungen treffen können oder zu einem sicheren Stand kommen.»

Sein Philosophen-Freund Lin bleibt skeptisch. Einerseits könne der Computer in Gefahrenlagen Unfälle vermeiden. Andererseits bedrohe das Roboter-Auto die menschliche Würde: «Wenn wir die Entscheidung über Leben oder Tod dem Computer überlassen, schließen wir uns selbst von jeglichem weiteren Nachdenken darüber in Zukunft aus.» 


Hintergrund: Neues Gesetz zum Automatischen Fahren in Deutschland

 

Deutschland gibt Gas bei der Zulassung des automatischen Fahrens. Ende März machte der Bundestag den Weg dafür frei, dass in Autos künftig Computer Fahrfunktionen übernehmen dürfen. Der Mensch am Steuer muss aber immer eingreifen können. Der Entwurf von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) muss noch durch den Bundesrat, der sich am 12. Mai mit dem Thema beschäftigen wollte.

Das neue Gesetz soll die Zulassung von Autos erlauben, bei denen technische Systeme zeitweise die Steuerung kontrollieren. Der Fahrer soll dann die Hände vom Lenkrad nehmen können - etwa um im Internet zu surfen. Dabei muss er jedoch im Notfall jederzeit wieder Steuer und Bremsen in Sekundenschnelle bedienen können. Zum reinen Fahrgast kann der Autofahrer also vorerst bei uns nicht werden. Zudem soll das Computer-Auto eine Art Blackbox wie im Flugzeug bekommen, in der Fahrdaten über drei Jahre gespeichert werden.

Verbraucherschützer warnen vor zu viel Verantwortung des Fahrers. Es dürfe nicht vollmundig mit einem Autopiloten geworben werden, wenn die Systeme ständig überwacht werden müssten. Bei Fragen nach dem Haftungsrisiko stellt Minister Dobrindt klar: «Wenn der Computer fährt, dann haftet am Schluss der Hersteller.» Datenschützer wollen zudem genauer wissen, welche Informationen konkret im elektronischen Fahrtenschreiber gespeichert werden dürfen.

Der Druck von der Industrie, schnell den gesetzlichen Rahmen für das automatische Fahren zu schaffen, ist groß. Fast alle Hersteller haben erste Systeme wie Einparkhilfen, Stau- und Spurhalte-Assistenten und Bremshilfen auf dem Markt.

Im Herbst 2016 hatte Dobrindt eine Ethikkommission einberufen, die bis zum Sommer Regeln für Roboter-Autos aufstellen soll. Daran sollen sich Programmierer orientieren können.

Unter dem Vorsitz des früheren Verfassungsrichters Udo Di Fabio beraten Juristen, Ingenieure und Philosophen, wie die Verantwortung hinterm Steuer künftig organisiert werden soll. Dabei gelten zwei Grundsätze: Sachschaden geht immer vor Personenschaden. Und es darf in Deutschland keine Klassifizierung von Menschen geben, etwa nach Größe oder Alter.

Für Dobrindt ist automatisches Fahren nichts Geringeres als «die größte Mobilitätsrevolution seit der Erfindung des Automobils». Allerdings stehen rund zwei Drittel der Menschen in Deutschland dieser Technik grundsätzlich misstrauisch gegenüber. Nach einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung befürchten sie Unfälle, den Verlust der Kontrolle über das Auto und Hacker-Angriffe auf die Technik. 


Hintergrund: Wie ein intelligentes Auto lernt

 

Um einem selbstfahrenden Auto beizubringen, wie zum Beispiel ein Fußgänger aussieht, liest der Hersteller anfangs Tausende Bilder von Fußgängern in die Datensammlung des Rechners ein. Mit diesen Aufnahmen kann der Computer trainieren. Schon bald ist er in der Lage, auf neuen Bildern Menschen selbstständig zu erkennen - oft verlässlicher als das menschliche Auge.

Zusätzlich füttert man den Rechner mit wichtigen Informationen, zum Beispiel mit der kompletten Straßenverkehrsverordnung und mit Hunderten von Szenarien und Regeln. Ein Beispiel: «Wenn ein Ball auf die Straße rollt, bremse ab: Es könnte ein Kind hinterher laufen.» Dabei gilt: Je mehr Situationen trainiert werden, desto besser wird der Algorithmus - also eine Folge von Handlungsanweisungen.

Das Erkennen der Umgebung entwickelt sich in den letzten Jahren rasant weiter, seit Rechner die Methoden der Künstlichen Intelligenz
- kurz KI - und des Deep Learning nutzen. Das heißt, statt in das Auto hinein zu programmieren, wie es in jeder einzelnen Situation reagieren soll, lässt man es selbst lernen. Künstliche sogenannte neuronale Netzwerke entdecken die Welt wie ein Kind ab der Geburt Stück für Stück. Das Auto lernt durch Beobachtung menschlicher Fahrer und begreift schnell: Ich darf vor allem nirgendwo gegenfahren.