In ausgewählten US-Kinos wurde am Abend “Snowden”, der neue Film von Oliver Stone voraufgeführt, mit anschließender Live-Schalte zu NSA-Whistleblower Edward Snowden aus Moskau. Ich hatte einen nerdigen Agententhriller erwartet, mit Trenchcoats und jeder Menge Computerscreens. Doch ich sah vor allem: Eine große Romanze.
Es gibt diese Szene im Film, als sich Edward Snowden (großartig gespielt von Joseph Gordon Levitt) und seine Freundin Lindsay Mills (Shailene Woodley) furchtbar laut streiten. Es ist 2009 in Japan, er soll dort zwölf Stunden am Tag für die NSA chinesische Hacker ausschalten, sie ist mit ihm gegangen, ohne wissen zu dürfen, was er da tut, und ohne Arbeitserlaubnis. Er wirft ihr vor, auf seine Kosten ein bequemes Leben zu leben, sie kontert: "Ich bin einsam hier. Und du fasst mich schon lange nicht mehr an.“ Es sind solche private Einblicke, die klar machen, was es für einen jungen Mann wie Edward Snowden bedeutet haben muss, NSA-Mitarbeiter zu sein. "Das lässt mich aussehen wie der worst boyfriend ever, der schlimmste Freund der Welt.”, kommentiert Snowden die Szene nach dem Film per Videoschalte. “Aber jedes Paar macht sowas durch, stellen Sie sich vor, Sie sind weit weg von zu Hause, sie sprechen die Sprache nicht. Und Sie können Ihrer Freundin nicht erzählen, was sie eigentlich machen. Das war hart.”
Lindsay Mills hat tatsächlich erst aus dem Fernsehen erfahren, was ihr langjähriger Freund beruflich genau tat. Das war im Juni 2013, als Edward Snowden plötzlich weltweit bekannt wurde, weil er Tausende von streng geheimen Dokumenten aus der Nationalen Sicherheitsbehörde NSA schmuggelte und in Hongkong an den britischen “Guardian” weitergab. Die Welt lernte: Amerika überwacht alle und alles, theoretisch jedes einzelne Mobiltelefon.
Edward Snowden ist von da an Amerikas Staatsfeind Nummer eins. Er will nach Südamerika fliehen, strandet aber in Moskau, wo er bis heute Asyl genießt. Und Lindsay Mill ist ihm dorthin gefolgt, lebt mit ihm im Exil.
Regisseur Oliver Stone (“Geboren am 4. Juli”, “Wallstreet”), der heute übrigens 70 Jahre alt wird, räumt diesem Liebesdrama in “Snowden” von Anfang an viel Platz ein: “Die Gefahr war, dass es eine kalte Geschichte wird, wirklich kompliziert zu erzählen. Wir mussten die Lovestory mit reinbringen.” Oskar-Preisträger Stone hat den Film in Deutschland und Frankreich drehen müssen, weil keines der großen Hollywood-Studios bereit war, den umstrittenen Stoff zu produzieren. Denn noch immer scheidet die Frage in Amerika die Geister: Held oder Verräter, was ist Snowden nun?
Als im Kino das Licht wieder angeht, frage ich rum. Shannon, 27, Software-Angestellte, sagt: “Ich habe nach dem Film noch viel mehr Respekt vor Snowden. Er hat viel aufgegeben, um uns allen die Augen zu öffnen. Ich kannte seine private Seite gar nicht, nur das Bild, das die Medien von ihm gezeichnet haben.” Mike, 48, Immobilienmakler im Silicon Valley, meint: “Ich finde nach wie vor nicht, dass er richtig gehandelt hat. Wenn man Fehler in einer Organisation entdeckt, sollte man besser versuchen, sie von innen zu verbessern.”
Ganz klar: Dieser Film ist für Snowden-Fans gemacht. Und er passt in eine grosse Kampagne: So fordert aktuell der frühere Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders Gnade für den Whistleblower. Die US-Regierung solle eine Lösung finden, die Snowden eine "sehr lange Gefängnisstrafe oder ein dauerhaftes Leben im Exil" erspare, schreibt Sanders aktuell im “Guardian". Die drei Menschenrechtsorganisationen Amnesty International, Human Rights Watch und American Civil Liberties Union starteten am Mittwoch die Aktion “PardonSnowden", Begnadigung für den Whistleblower. Doch die Antwort der US-Regierung bleibt hart: Snowden solle nach Amerika zurückkehren und sich einem fairen Verfahren stellen. Nach wie vor droht Edward Snowden in den USA eine lange Haftstrafe wegen Geheimnisverrats.
Als der Abspann läuft, gibt es im Kino zaghaften Applaus.
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