Nirgendwo sonst in den USA brauchen so viele Menschen anderthalb Stunden zur Arbeit - one way. Abends stellen sie sich wieder hinten an. Weil die Tech-Wirtschaft boomt, sind Highways und öffentlicher Transport völlig überlastet. Die Regierung hat darauf keine Antwort und das Silicon Valley erfindet zwar täglich neue Hightech-Produkte, kann aber eines seiner dringendsten Probleme selbst nicht lösen: Die Bucht von San Francisco ist ein einziger Verkehrskollaps.
Freitag morgen im UBER-Auto. Der Mitfahrservice, einst erfunden in San Francisco, testet gerade einen neuen Service: morgens zwischen 6 und 10 für nur 18 Dollar (gut 16 Euro) vom Silicon Valley nach San Francisco. POOL TO SF sammelt dabei mehrere Mitfahrer ein, die meisten von ihnen mürbe vom jahrelangen selbst-im-Stau-stehen. Einer von drei Mitfahrern heute morgen ist Brandon. Der 38jährige Software-Entwickler hat lange im Valley gearbeitet und wohnt seither auch dort, in Google’s Heimatstadt Mountain View. Neuerdings arbeitet er jedoch für ein Startup in San Francisco, 60 km entfernt. Ein Umzug kommt nicht in Frage, sagt Brandon. Wohnen in San Francisco ist noch teurer als im Valley und seine Kinder lieben den Garten und den Pool, den sie in der Stadt wohl nicht hätten. Also pendelt er seit einem halben Jahr. “Ich habe schon alles probiert: Mit dem eigenen Auto - da musst Du um 5 Uhr los fahren, wenn Du den Stau umgehen willst. Der Zug ist voll, braucht auch ewig und hat kein Wifi. Außerdem gibt es vom Bahnhof in San Francisco keinen Anschluss weiter zum Büro. Jetzt versuch’ ich es mal mit Uber.”
Die San Francisco Bay Area. Ein Kraftwerk an Ideen, aber ein hoffnungsloser Fall an öffentlicher Infrastruktur. Vergleichbar große Städte wie Zürich oder München haben es geschafft, ein gutes Netz aus Bahn, Bus und Radwegen aufzubauen - als Alternative zum Auto.
Wer zum ersten Mal ins Silicon Valley kommt, erwartet vollautomatische Elektrozüge ohne Fahrer, ohne Schaffner, die mit Hochgeschwindigkeit geräuschlos dahingleiten. Stattdessen schnauft und tutet der CALTtrain durch das Tal. Eine antiquierte Diesellokomotive, deren durchdringende Sirene Tag und Nacht weithin zu hören ist und die über eine Stunde vom Valley bis Downtown San Francisco bummelt. Öffentliche Busse, die dieses riesige Hightech-Gewerbegebiet zwischen Cupertino (Apple) und Menlo Park (Facebook) verbinden? Fehlanzeige. Radwege gibt es, aber sie werden kaum genutzt. “Wir glauben nicht an das Fahrrad.”, ist ein Satz, den man hier öfter hört. Die Techies im Silicon Valley erfinden stattdessen UBER und basteln wie Google an selbstfahrenden Roboterautos - wohlwissend, dass sie damit auch weiterhin die Straßen verstopfen werden. Und dann keinen Parkplatz finden.
Dann wird eben eine neue App erfunden. So bietet der Service LUXE in San Francisco neuerdings Valet-Parking für jedermann und das geht so: Kurz vor Ankunft am Ziel ruft man sich per App einen Einparker herbei, der kommt auf einem Klapp-Roller angefahren, parkt das Auto an einem sicheren Ort und bringt es zurück, wann immer man es braucht. Für fünf Dollar die Stunde oder 15 am Tag. Ein Startup, das aus dem Frust geboren ist, sagt Curtis Lee, Gründer von LUXE: "Ich bin jedesmal mindestens zwanzig Minuten um den Block gefahren. Wenn man sich dann überlegt, dass es vor allem an den Rändern der Stadt immer freie Parkplätze gibt, wird klar, dass man daraus leicht ein Geschäft machen kann.” Jedenfalls solange, bis sich Autos komplett selbst einparken können.
Diese Region ist stolz auf ihre disruptiven Technologien. Warum wird all das Talent nicht auch in die Riesenherausforderung Transport gesteckt? Sie wollen die Welt verbessern, aber ohne Auto kommt man im Silicon Valley nicht mal bis zum nächsten Supermarkt. Jeder zweite Bewohner der Bay Area ist dabei täglich auf die in den 1960er Jahren gebauten Expressways angewiesen.
Die großen Konzerne haben das Problem auf ihre eigene Weise gelöst. Google unterhält mittlerweile das größte private Busunternehmen Amerikas. Aber auch Linkedin, ebay, Yahoo, sie alle shutteln ihre zehntausenden Mitarbeiter, die gerne im schicken San Francisco wohnen, aber im langweiligen Valley arbeiten, täglich kostenlos hin und her. Die zahllosen Firmenbusse sind zum Sinnbild der Gentrifizierung von San Francisco geworden. Sie stehen auch im Stau, aber zumindest gibt es Wifi an Bord, so dass die Programmierer, Datenanalysten und Social Media Experten während der Fahrt arbeiten können.
Doch das Verkehrsproblem wird sich weiter verschärfen. Apple zum Beispiel hat schon jetzt 25.000 Mitarbeiter. Gerade wird ein neuer Campus für 13.000 weitere Angestellte gebaut, der Ende 2016 fertig sein soll. Google und Facebook bauen ebenfalls neue Headquarter und wachsen weiter. Macht in der Zukunft nochmal zehntausende Autos mehr auf den Straßen rund um die Bucht von San Francisco.
Auf der Social News-Plattform REDDIT hat neulich jemand eine überraschende Rechnung aufgemacht: Man könnte im deutlich günstigeren Las Vegas wohnen, täglich zur Arbeit nach San Francisco fliegen und dabei noch 1124 Dollar im Monat sparen. Ein Flug dauert etwa 90 Minuten. Genauso lang, wie die Meisten rund um San Francisco morgens auch so zur Arbeit brauchen.
Mein Text via dpa. Unter anderem erschienen in der FR, bei Heise online, Tagesspiegel, Computerwoche.
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