Wie schafft man es als Deutsche/r ins Silicon Valley? Ich habe drei Frauen und drei Männer gefunden, die sich 2015 einen Job in Kalifornien geangelt haben. Als Ingenieur bei Tesla, als Designer bei der Google-Firma Nest, als Lehrerin an der German International School of Silicon Valley, als Software-Entwickler bei Facebook, als Produktmanagerin bei SAP und als Auslandsrepräsentantin einer deutschen Uni. Was die sechs eint, ist der Mut zum Risiko und die Bereitschaft, auf eine fest vorgebene Karriere in Deutschland zu verzichten. Bei fast allen hat das Abenteuer Silicon Valley mit einem Praktikum angefangen.
Fred, der Web-Design-Student aus Hamburg, ist das Abenteuer Silicon Valley ganz strategisch angegangen - und vor allem nicht allein: “Ich habe mich mit meinem Freund Carsten im Team beworben. Wir wollten beide hierher. Also haben wir eine Liste gemacht mit 60 Adressen, von Google, Apple bis zu den kleinen Startups. Und wir haben uns nicht wie üblich mit unserem Lebenslauf beworben, sondern mit einer eigens gebauten interaktiven Website.“
Auf der Seite stellen sich die beiden Web-Designer vor (Vegetariar vs. Meat-Lover), präsentieren ihr Portfolio und sagen, was sie suchen: Ein Praktikum von März bis September und ein bisschen Hilfe bei der Visa-Beschaffung. Kurz: „Wir wollen den Sommer unseres Lebens erleben.“
Sie kriegen nur eine Antwort, aber die kommt schnell: Schon einen Tag später meldet sich NEST, eine Firma, die intelligente Thermostate, smarte Rauchmelder und Wifi-Sicherheitskameras baut. Das Vorstellungsgespräch findet per Skype statt. Fred: “Wir waren furchtbar aufgeregt, denn das Silicon Valley war eigentlich unerreichbar für uns.” Direkt neben dem Skype-Rechner haben sie ein Laptop stehen, auf dem ein Übersetzungsprogramm geöffnet ist. Falls sie während des Interviews schnell ein englisches Wort nachschlagen müssen.
Das Gespräch läuft gut, man bietet den beiden Jungs aus Hamburg sofort ein gut bezahltes 6-Monate-Praktikum im Marketing-Team an. Und so beginnt das Silicon Valley-Abenteuer für zwei deutsche Design-Studenten im Sommer 2014. Sie teilen sich eine Wohnung für 3000 Dollar Miete und entdecken am Wochenende Kalifornien.
Schon nach zwei Wochen bittet der Kreativ-Chef den Praktikanten Fred: “Bleib.” Aber der 27jährige will erst seinen Master in Gestaltung/Digital Media zu Ende machen - und zurück zu seiner Freundin nach Deutschland.
Doch Nest, das inzwischen von Google gekauft wurde, lässt nicht locker. Ein festes Angebot samt 6-Jahres-Visum gibt schließlich den Ausschlag - seit September 2015 ist Fred nun fest in Palo Alto, mit dem deutschen Master-Abschluss in der Tasche und seine Freundin hat er diesmal mitgebracht. Auch sein Freund Carsten hat einen Vertrag bei Google unterschrieben.
Aus dem Sommer ihres Lebens wurde ein unbefristeter Job in der Bucht von San Francisco. "Ich bin nicht hier, weil immer die Sonne scheint, sondern weil ich hier Sachen lerne, die ich in Deutschland nicht lernen würde." Fred kann der Firma beim Wachsen quasi zuschauen: "Während meines Praktikums waren das hier 300 Leute, jetzt sind wir schon 1200." Er mag die andere Arbeitskultur und wie schnell er Verantwortung übertragen bekam. Was nervt? "Die vielen Meetings." Wichtigste Erkenntnis: "Wir hatten so viel Respekt vor dem Silicon Valley, aber wenn man hier ist, stellt man schnell fest, dass man durchaus mithalten kann."
Ob er für immer bleiben will? “Das glaub ich nicht.”, sagt Fred. “Aber ich bleibe genau so lange, wie es mir hier gefällt.” Und wenn er eines Tages zurück nach Deutschland geht, dann, um dort etwas Neues zu gründen und all das einzubringen, was er in Kalifornien gelernt hat.
Und hier noch fünf deutsche Erfolgsstories:
Julia Steier - Produktmanagerin bei SAP
“Am nervigsten waren anfangs so banale Dinge wie eine private Auto-Versicherung abzuschließen.”, sagt Julia, seit April Produktmanagerin für SAP in Palo Alto. Die 23jährige hat Software-Entwicklung am Hasso Plattner-Institut in Potsdam studiert und kam durch die Verbindung der Uni zu SAP an ein Praktikum im Silicon Valley. Danach bot man ihr dort sofort einen Job an. „Es war keine leichte Entscheidung, denn ich hatte eigentlich schon eine Stelle in Berlin, aber ich habe sie keine Minute bereut.“, so Julia. „Ich lerne nicht nur im Job, sondern auch für’s Leben. Nach ein paar Monaten hat es auch sprachlich richtig 'klick' gemacht, seitdem habe ich das Gefühl, dass ich viel sicherer auftrete.” Aktuell unterstützt Julia einen Sportausstatter dabei, Daten aus Fitness-Apps mit Hilfe von SAP Software nutzbar zu machen. Ihr Team ist mit US-Kollegen, Deutschen, Indern und Asiaten sehr international. Und durch die Zeitunterschiede ist es wahrlich kein 9 to 5-Job: Oft hat Julia früh morgens oder spät abends noch Video-Konferenzen. “Die Amerikaner finden mich effizient und genau.”, sagt sie. Sie wohnt in Mountain View in einer WG mit zwei anderen Deutschen. Was sie vermisst? “Deutsches Brot, meinen Turnverein in Potsdam und natürlich meinen Freund, der auch gerne hier wäre, aber leider bis jetzt kein Visum hat.”
Stephan Alber - Software-Entwickler bei Facebook
“In Deutschland war ich einer der besten Entwickler - hier schwimme ich im Talentpool ganz unten.” Facebook lehrt Demut, sagt Stephan, seit Januar im Headquarter in Menlo Park. Der 33jährige ist Software-Entwickler für technische Dokumentation und zugleich technischer Schreiber. Bedeutet: Er schreibt den Code und dazu die nutzerfreundlichen Bedienungsanleitungen für Facebbok-Apps. “Ich hatte immer zwei Träume: Einmal in den USA leben und irgendwann für Facebook arbeiten.” Hat geklappt. Schon mit 16 hat Stephan zuhause in der Nähe von Stuttgart mit HTML herumprobiert, damals, das war 1997, ging das meist nur offline. Mit 18 gründet er seine erste Firma: eine Party-Event-Seite. Er studiert Online-Medien in Furtwangen und baut bald Facebook-Apps für die deutschen Websiten großer Firmen. Zugleich schreibt er auf Fach-Blogs über Facebook-Technologie und arbeitet später auch für eine New Yorker Marketingagentur. Dann die Bewerbung in Kalifornien, dafür muss er Interviews mit fünf Leuten führen. Nach vier Stunden der Anruf: “Wir schicken Ihnen ein Angebot.” Seit Januar ist er nun im Silicon Valley und sagt: “Ich habe in diesem Jahr bei Facebook mehr gelernt als in fünf Jahren in Deutschland.” 9000 Kilometer von der Familie weg zu sein, sei schwierig, aber der kalifornische Lifestyle entschädigt ihn: “Ich will unbedingt noch surfen lernen!"
Lotte Woll - Lehrerin an der German International School of Silicon Valley
Lotte hat sich schon vor fünf Jahren während eines Auslandssemesters in San Francisco verliebt. Seitdem ließ sie die Stadt nicht mehr los: Einmal richtig hier leben, das war immer hier Traum. Im Januar dann sah sie die Stellenanzeige der German International School of Silicon Valley (GISSV): Grundschullehrerin mit Inklusions-Erfahrung gesucht. Lotte war bis dahin Sonderschullehrerin an einem Sprachheilzentrum in Calw im Schwarzwald. Alles passte. Das Job-Interview mit der Schulleitung führt sie per Skype. “Danach hab ich praktisch auf dem Handy geschlafen und als die Zusage der Schule kam, vor Freude einen ganzen Tag geheult.”, erinnert sich Lotte. Sie wird von ihrer Heimatschule beurlaubt und kommt am 1. August in San Francisco an, wo sie sofort eine erste Klasse übernimmt. “Der Anfang war schwer, die Klasse musste sich finden, ich musste mich finden. Das Deutsch- und Mathekonzept hier ist ganz anders.” Die deutsch-internationale Schule hat ihren Hauptsitz mitten im Silicon Valley, die Außenstelle in San Francisco ist noch jung und winzig: Nur vier Klassen mit jeweils etwa zehn Kindern. Deswegen gibt es nicht mal eine Sekretärin, die Lehrer besorgen selbst das Kopierpapier selbst. Jetzt, nach einem halben Jahr, läuft es rund, sagt Lotte. Ihr Zimmer hat die 29jährige bei Airbnb gefunden und neulich hat sie beim Schwimmen an der Golden Gate Bridge einen Wal gesehen. “Früher hab ich Klassentreffen immer gefürchtet, weil alle geheiratet oder ein Baby bekommen hatten - nur ich nicht.”, gibt Lotte zu. “Aber jetzt geh ich jeden Tag in San Francisco zur Arbeit und das gibt mir ein ganz neues Selbstgefühl."
Benjamin Dellal - Ingenieur bei Tesla
Er ist erst 22, aber sein Schreibtisch steht gerade mal zehn Meter entfernt von dem von Tesla-Chef Elon Musk: Benjamin gehört zum Antriebsstrang-Team der Luxus-Elektro-Marke aus dem Silicon Valley. Er ist aufgewachsen in Mecklenburg-Vorpommern, schraubt schon als Junge an seiner ‘Simson’ herum. Dann studiert er Maschinenbau an der Uni Braunschweig und bewirbt sich währenddessen frech um ein sechsmonatiges Praktikum bei Tesla in den USA. Hat geklappt. “Ich war super nervös und bin da am ersten Tag im Hemd mit schicker Hose hin. Mein Manager hat mich ausgelacht. Tatsächlich kann ich mir hier noch so richtig die Hände schmutzig machen.” Benjamin liebt das Praktikum, verlängert und schreibt noch seine Bachelor-Arbeit im Silicon Valley, danach fliegt er nach Hause nach Deutschland. Doch Tesla will ihn zurück. Der Jung-Ingenieur muss dem Chef in einem zehnseitigen Essay Fragen zu seinem Lebenslauf und seiner Motivation beantworten - dann setzt Elon Musk seine Unterschrift unter den Arbeitsvertrag. Seit Mai ist Benjamin wieder im Silicon Valley, diesmal als Angestellter, mit einem Visum für sechs Jahre. “Der Erfindergeist, das Arbeitsklima und die Risikobereitschaft hier sind einzigartig. Deshalb konnte ich nicht nein sagen. Wir arbeiten jeden Tag hart daran, die Automobilindustrie zu revolutionieren, während in Wolfsburg Abgaswerte manipuliert werden."
Dolores Volkert - Auslandsrepräsentantin der TU München
“Ich fühle mich wie ein Pionier”, sagt Dolores, die seit September für die TU München in San Francisco ist. Ihr Job: die Uni in Nordamerika bekannt machen, US-Studenten nach Europa locken, ein Alumni-Netzwerk aufbauen. Es gab hier vorher keine Repräsentanz, deshalb "ist es ein bisschen, als hätte ich selbst ein Startup gegründet.”, so die Juristin, die zuvor für die Nationale Akademie der Wissenschaften in Berlin gearbeitet hat. Die Partneruniversitäten Berkeley und Stanford sind nah, ein Networking-Termin jagt die nächste Konferenz. "Ich bin mit zwei großen Koffern gekommen und hatte viel zu viele Kostüme und Hosenanzüge dabei.” Denn das Silicon Valley ist immer lässig. Der Preis für das WG-Zimmer in San Francisco aber war ein Schock: 1800 Dollar. Auch an die vielen Obdachlosen in der Stadt hat sich Dolores noch nicht gewöhnt. Wie lange sie bleiben will? “Ich mache keine Pläne. Mein Traum ist, dass mein Mann - noch Anwalt in Berlin - hier einen Job findet." Sorgen um’s Visum muss sie sich jedenfalls nicht machen: Dolores hat in der Greencard-Lotterie gewonnen.
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