Sechs neue Deutsche im Silicon Valley

Wie schafft man es als Deutsche/r ins Silicon Valley? Ich habe drei Frauen und drei Männer gefunden, die sich 2015 einen Job in Kalifornien geangelt haben. Als Ingenieur bei Tesla, als Designer bei der Google-Firma Nest, als Lehrerin an der German International School of Silicon Valley, als Software-Entwickler bei Facebook, als Produktmanagerin bei SAP und als Auslandsrepräsentantin einer deutschen Uni. Was die sechs eint, ist der Mut zum Risiko und die Bereitschaft, auf eine fest vorgebene Karriere in Deutschland zu verzichten. Bei fast allen hat das Abenteuer Silicon Valley mit einem Praktikum angefangen. 

Fred, der Web-Design-Student aus Hamburg, ist das Abenteuer Silicon Valley ganz strategisch angegangen - und vor allem nicht allein: “Ich habe mich mit meinem Freund Carsten im Team beworben. Wir wollten beide hierher. Also haben wir eine Liste gemacht mit 60 Adressen, von Google, Apple bis zu den kleinen Startups. Und wir haben uns nicht wie üblich mit unserem Lebenslauf beworben, sondern mit einer eigens gebauten interaktiven Website.“ 

Auf der Seite stellen sich die beiden Web-Designer vor (Vegetariar vs. Meat-Lover), präsentieren ihr Portfolio und sagen, was sie suchen: Ein Praktikum von März bis September und ein bisschen Hilfe bei der Visa-Beschaffung. Kurz: „Wir wollen den Sommer unseres Lebens erleben.“

 

 

 Sie kriegen nur eine Antwort, aber die kommt schnell: Schon einen Tag später meldet sich NEST, eine Firma, die intelligente Thermostate, smarte Rauchmelder und Wifi-Sicherheitskameras baut. Das Vorstellungsgespräch findet per Skype statt. Fred: “Wir waren furchtbar aufgeregt, denn das Silicon Valley war eigentlich unerreichbar für uns.” Direkt neben dem Skype-Rechner haben sie ein Laptop stehen, auf dem ein Übersetzungsprogramm geöffnet ist. Falls sie während des Interviews schnell ein englisches Wort nachschlagen müssen.

 

 

Das Gespräch läuft gut, man bietet den beiden Jungs aus Hamburg sofort ein gut bezahltes 6-Monate-Praktikum im Marketing-Team an. Und so beginnt das Silicon Valley-Abenteuer für zwei deutsche Design-Studenten im Sommer 2014. Sie teilen sich eine Wohnung für 3000 Dollar Miete und entdecken am Wochenende Kalifornien.

 

Schon nach zwei Wochen bittet der Kreativ-Chef den Praktikanten Fred: “Bleib.” Aber der 27jährige will erst seinen Master in Gestaltung/Digital Media zu Ende machen - und zurück zu seiner Freundin nach Deutschland.

 

Doch Nest, das inzwischen von Google gekauft wurde, lässt nicht locker. Ein festes Angebot samt 6-Jahres-Visum gibt schließlich den Ausschlag - seit September 2015 ist Fred nun fest in Palo Alto, mit dem deutschen Master-Abschluss in der Tasche und seine Freundin hat er diesmal mitgebracht. Auch sein Freund Carsten hat einen Vertrag bei Google unterschrieben.

 

Aus dem Sommer ihres Lebens wurde ein unbefristeter Job in der Bucht von San Francisco. "Ich bin nicht hier, weil immer die Sonne scheint, sondern weil ich hier Sachen lerne, die ich in Deutschland nicht lernen würde." Fred kann der Firma beim Wachsen quasi zuschauen: "Während meines Praktikums waren das hier 300 Leute, jetzt sind wir schon 1200." Er mag die andere Arbeitskultur und wie schnell er Verantwortung übertragen bekam. Was nervt? "Die vielen Meetings." Wichtigste Erkenntnis: "Wir hatten so viel Respekt vor dem Silicon Valley, aber wenn man hier ist, stellt man schnell fest, dass man durchaus mithalten kann." 

 

 

Ob er für immer bleiben will? “Das glaub ich nicht.”, sagt Fred. “Aber ich bleibe genau so lange, wie es mir hier gefällt.” Und wenn er eines Tages zurück nach Deutschland geht, dann, um dort etwas Neues zu gründen und all das einzubringen, was er in Kalifornien gelernt hat.

Und hier noch fünf deutsche Erfolgsstories:

Julia Steier - Produktmanagerin bei SAP

 

Am nervigsten waren anfangs so banale Dinge wie eine private Auto-Versicherung abzuschließen.”, sagt Julia, seit April Produktmanagerin für SAP in Palo Alto. Die 23jährige hat Software-Entwicklung am Hasso Plattner-Institut in Potsdam studiert und kam durch die Verbindung der Uni zu SAP an ein Praktikum im Silicon Valley. Danach bot man ihr dort sofort einen Job an. „Es war keine leichte Entscheidung, denn ich hatte eigentlich schon eine Stelle in Berlin, aber ich habe sie keine Minute bereut.“, so Julia. „Ich lerne nicht nur im Job, sondern auch für’s Leben. Nach ein paar Monaten hat es auch sprachlich richtig 'klick' gemacht, seitdem habe ich das Gefühl, dass ich viel sicherer auftrete.” Aktuell unterstützt Julia einen Sportausstatter dabei, Daten aus Fitness-Apps mit Hilfe von SAP Software nutzbar zu machen. Ihr Team ist mit US-Kollegen, Deutschen, Indern und Asiaten sehr international. Und durch die Zeitunterschiede ist es wahrlich kein 9 to 5-Job: Oft hat Julia früh morgens oder spät abends noch Video-Konferenzen. “Die Amerikaner finden mich effizient und genau.”, sagt sie. Sie wohnt in Mountain View in einer WG mit zwei anderen Deutschen. Was sie vermisst? “Deutsches Brot, meinen Turnverein in Potsdam und natürlich meinen Freund, der auch gerne hier wäre, aber leider bis jetzt kein Visum hat.”

Stephan Alber - Software-Entwickler bei Facebook

 

In Deutschland war ich einer der besten Entwickler - hier schwimme ich im Talentpool ganz unten.” Facebook lehrt Demut, sagt Stephan, seit Januar im Headquarter in Menlo Park. Der 33jährige ist Software-Entwickler für technische Dokumentation und zugleich technischer Schreiber. Bedeutet: Er schreibt den Code und dazu die nutzerfreundlichen Bedienungsanleitungen für Facebbok-Apps. “Ich hatte immer zwei Träume: Einmal in den USA leben und irgendwann für Facebook arbeiten.” Hat geklappt. Schon mit 16 hat Stephan zuhause in der Nähe von Stuttgart mit HTML herumprobiert, damals, das war 1997, ging das meist nur offline. Mit 18 gründet er seine erste Firma: eine Party-Event-Seite. Er studiert Online-Medien in Furtwangen und baut bald Facebook-Apps für die deutschen Websiten großer Firmen. Zugleich schreibt er auf Fach-Blogs über Facebook-Technologie und arbeitet später auch für eine New Yorker Marketingagentur. Dann die Bewerbung in Kalifornien, dafür muss er Interviews mit fünf Leuten führen. Nach vier Stunden der Anruf: “Wir schicken Ihnen ein Angebot.” Seit Januar ist er nun im Silicon Valley und sagt: “Ich habe in diesem Jahr bei Facebook mehr gelernt als in fünf Jahren in Deutschland.” 9000 Kilometer von der Familie weg zu sein, sei schwierig, aber der kalifornische Lifestyle entschädigt ihn: “Ich will unbedingt noch surfen lernen!"

Lotte Woll - Lehrerin an der German International School of Silicon Valley

 

Lotte hat sich schon vor fünf Jahren während eines Auslandssemesters in San Francisco verliebt. Seitdem ließ sie die Stadt nicht mehr los: Einmal richtig hier leben, das war immer hier Traum. Im Januar dann sah sie die Stellenanzeige der German International School of Silicon Valley (GISSV): Grundschullehrerin mit Inklusions-Erfahrung gesucht. Lotte war bis dahin Sonderschullehrerin an einem Sprachheilzentrum in Calw im Schwarzwald. Alles passte. Das Job-Interview mit der Schulleitung führt sie per Skype. “Danach hab ich praktisch auf dem Handy geschlafen und als die Zusage der Schule kam, vor Freude einen ganzen Tag geheult.”, erinnert sich Lotte. Sie wird von ihrer Heimatschule beurlaubt und kommt am 1. August in San Francisco an, wo sie sofort eine erste Klasse übernimmt. “Der Anfang war schwer, die Klasse musste sich finden, ich musste mich finden. Das Deutsch- und Mathekonzept hier ist ganz anders.” Die deutsch-internationale Schule hat ihren Hauptsitz mitten im Silicon Valley, die Außenstelle in San Francisco ist noch jung und winzig: Nur vier Klassen mit jeweils etwa zehn Kindern. Deswegen gibt es nicht mal eine Sekretärin, die Lehrer besorgen selbst das Kopierpapier selbst. Jetzt, nach einem halben Jahr, läuft es rund, sagt Lotte. Ihr Zimmer hat die 29jährige bei Airbnb gefunden und neulich hat sie beim Schwimmen an der Golden Gate Bridge einen Wal gesehen. “Früher hab ich Klassentreffen immer gefürchtet, weil alle geheiratet oder ein Baby bekommen hatten - nur ich nicht.”, gibt Lotte zu. “Aber jetzt geh ich jeden Tag in San Francisco zur Arbeit und das gibt mir ein ganz neues Selbstgefühl."

 

Benjamin Dellal - Ingenieur bei Tesla

Er ist erst 22, aber sein Schreibtisch steht gerade mal zehn Meter entfernt von dem von Tesla-Chef Elon Musk: Benjamin gehört zum Antriebsstrang-Team der Luxus-Elektro-Marke aus dem Silicon Valley. Er ist aufgewachsen in Mecklenburg-Vorpommern, schraubt schon als Junge an seiner ‘Simson’ herum. Dann studiert er Maschinenbau an der Uni Braunschweig und bewirbt sich währenddessen frech um ein sechsmonatiges Praktikum bei Tesla in den USA. Hat geklappt. “Ich war super nervös und bin da am ersten Tag im Hemd mit schicker Hose hin. Mein Manager hat mich ausgelacht. Tatsächlich kann ich mir hier noch so richtig die Hände schmutzig machen.” Benjamin liebt das Praktikum, verlängert und schreibt noch seine Bachelor-Arbeit im Silicon Valley, danach fliegt er nach Hause nach Deutschland. Doch Tesla will ihn zurück. Der Jung-Ingenieur muss dem Chef in einem zehnseitigen Essay Fragen zu seinem Lebenslauf und seiner Motivation beantworten - dann setzt Elon Musk seine Unterschrift unter den Arbeitsvertrag. Seit Mai ist Benjamin wieder im Silicon Valley, diesmal als Angestellter, mit einem Visum für sechs Jahre. “Der Erfindergeist, das Arbeitsklima und die Risikobereitschaft hier sind einzigartig. Deshalb konnte ich nicht nein sagen. Wir arbeiten jeden Tag hart daran, die Automobilindustrie zu revolutionieren, während in Wolfsburg Abgaswerte manipuliert werden."

Dolores Volkert - Auslandsrepräsentantin der TU München

 

 

Ich fühle mich wie ein Pionier”, sagt Dolores, die seit September für die TU München in San Francisco ist. Ihr Job: die Uni in Nordamerika bekannt machen, US-Studenten nach Europa locken, ein Alumni-Netzwerk aufbauen. Es gab hier vorher keine Repräsentanz, deshalb "ist es ein bisschen, als hätte ich selbst ein Startup gegründet.”, so die Juristin, die zuvor für die Nationale Akademie der Wissenschaften in Berlin gearbeitet hat. Die Partneruniversitäten Berkeley und Stanford sind nah, ein Networking-Termin jagt die nächste Konferenz. "Ich bin mit zwei großen Koffern gekommen und hatte viel zu viele Kostüme und Hosenanzüge dabei.” Denn das Silicon Valley ist immer lässig. Der Preis für das WG-Zimmer in San Francisco aber war ein Schock: 1800 Dollar. Auch an die vielen Obdachlosen in der Stadt hat sich Dolores noch nicht gewöhnt. Wie lange sie bleiben will? “Ich mache keine Pläne. Mein Traum ist, dass mein Mann - noch Anwalt in Berlin - hier einen Job findet." Sorgen um’s Visum muss sie sich jedenfalls nicht machen: Dolores hat in der Greencard-Lotterie gewonnen.

Text erschienen bei ZDF heute.de
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Wenn der Roboter am Steuer sitzt

In 15 Jahren werden selbstfahrende Autos auf den Straßen wohl einfach dazugehören. Doch auch Roboter-Wagen kommen in Situationen, die für Menschen lebensbedrohlich sein können. Forscher sind dabei, den rollenden Maschinen das Entscheiden im Notfall beizubringen. Eine Reportage aus dem Silicon Valley.

Chris Gerdes in der Stanford-Forschungsgarage. Foto: C. Hübscher
Chris Gerdes in der Stanford-Forschungsgarage. Foto: C. Hübscher

 

San Francisco (dpa) - Chris Gerdes denkt viel nach über Computer auf vier Rädern. Also über selbstfahrende Autos. Sogar dann, wenn er mit seinem Rennrad über die Hügel von San Francisco kurvt. Neulich hatte er dabei wieder so einen Geistesblitz: Die Autos, die ihn überholten, wichen großzügig aus, sie überfuhren die doppelt durchgezogene, gelbe Mittellinie. Würde ein selbstfahrendes Auto das auch tun, fragte er sich. Die kalifornische Straßenverkehrsordnung verbietet das Kreuzen der Mittellinie. Das Computer-Hirn im Fahrzeug würde sich wohl an die Regeln halten.

«Wir haben hier also ein gelerntes menschliches Verhalten, das gesellschaftlich sogar erwartet wird: Platz machen für Fahrradfahrer. Das aber eigentlich nicht legal ist», sagt Gerdes, Professor an der Elite-Universität Stanford. «Wie bringen wir einen solchen erwünschten Regelbruch dem autonomen Auto der Zukunft bei? Und macht die Mittellinie für ein Roboter-Fahrzeug überhaupt noch Sinn?»

Gerdes geht davon aus, dass ein autonomes Auto die Situation viel besser einschätzen kann als jeder Mensch. Der Wagen beobachtet die Umwelt mit seinen Sensoren und Kameras. Das Auto wird den Radfahrer also sowieso nur überholen, wenn ihm nichts entgegenkommt. Und es wird dem Radler so viel Raum wie möglich geben. Für Autos, die ohne Fahrer auskommen, werden Fahrbahnmarkierungen in Zukunft also womöglich ihre Bedeutung verlieren. 

 

WENN PLÖTZLICH JEMAND VORS AUTO SPRINGT

Gerdes forscht in der US-Technologie-Hochburg, im Silicon Valley, zu selbstfahrenden Autos. Er berät die kalifornische Straßenbehörde DMV und die Industrie. So hören, wie er erzählt, auch deutsche Autobauer wie Mercedes-Benz und Zulieferer wie Bosch auf seinen Rat.

Mit Doktoranden steht er regelmäßig an einer Teststrecke. Gerade untersuchen sie, wie Shelley, ein umgerüsteter Forschungs-Audi mit unerwarteten Situationen umgeht. Zum Beispiel damit, dass hinter jedem am Straßenrand parkenden Auto plötzlich ein erwachsener Fußgänger oder gar ein Kind hervorlaufen kann.

Wie können die Hersteller selbstfahrende Autos darauf vorbereiten? Wie programmiert man eine solche «Hab-Acht-Stellung» ins Fahrzeug? «Wir werden nie ein perfektes System bauen», räumt Gerdes ein. «Aber wir müssen versuchen, es so sicher wie möglich zu machen.» 

Philosoph Patrick Lin im Forschungsfahrzeug. Foto: C. Hübscher
Philosoph Patrick Lin im Forschungsfahrzeug. Foto: C. Hübscher

 

EINE FRAGE FÜR PHILOSOPHEN

Bei der mühsamen Kleinarbeit an der Schaltzentrale der Zukunftsautos stellen sich die Forscher viele Fragen - manchmal sehr praktische, manchmal exotische. So bekam Gerdes vor einiger Zeit eine E-Mail von Patrick Lin, einem Philosophieprofessor in San Luis Obispo, gelegen auf halber Strecke zwischen San Francisco und Los Angeles. «Denken Sie auch über all die ethischen Fragen nach, die die autonomen Autos uns bringen werden?», wollte Lin von Gerdes wissen.

Seitdem forschen die beiden Wissenschaftler gemeinsam. Der Philosoph entwirft ein Szenario, der Ingenieur sucht nach technischen Antworten. Zum Beispiel: Stellen wir uns vor, unser Auto kommt in eine Gefahrensituation und kann einem Crash nur noch entgehen, indem es nach links ausweicht. Dort würde der Wagen eine achtzigjährige Großmutter töten. Er könnte auch nach rechts umlenken, wo er in ein achtjähriges Mädchen steuern würde. Wie soll das Auto entscheiden?

Der Philosoph Lin sagt: «Es gibt nicht die einzig richtige Antwort hier, das liegt in der Natur des ethischen Dilemmas. Man könnte einerseits argumentieren: Die Großmutter hat schon ein erfülltes Leben hinter sich. Oder aber: Das Mädchen hat die flexibleren Knochen und wird den Zusammenstoß vielleicht eher überleben.» 

Kameraaufnahme aus selbstfahrendem Auto. Quelle: Daimler AG
Kameraaufnahme aus selbstfahrendem Auto. Quelle: Daimler AG

 

Der Autobranche selbst sind solche Fragen spürbar unangenehm. Die Hersteller betonen, Autos würden nicht dahin programmiert, zwischen verschiedenen Opfertypen zu unterscheiden. Vielmehr sollen die Fahrzeuge generell jede Kollision vermeiden. Erst recht, wenn es um ungeschützte Fußgänger und Radfahrer geht.

Ein wichtiges Argument für mehr Sicherheit, wenn der Computer die Kontrolle übernimmt, ist die traurige Realität auf den Straßen: Sowohl in den USA als auch in Deutschland ist der Mensch am Steuer für die Masse der Unfälle verantwortlich: durch Fehler beim Abbiegen und Rückwärtsfahren, zu nahes Auffahren, aggressives Verhalten, Rasen, Alkohol am Steuer. So sind zum Beispiel in Deutschland 2015 rund 35 Prozent aller Verkehrstoten Opfer von Unfällen mit nicht angepasster Geschwindigkeit.

Experten erwarten, dass es durch autonome Fahrzeuge drastisch weniger Unfälle geben wird. Trotzdem fordert Philosophieprofessor Lin eine gesellschaftliche Diskussion über die ethischen Fragen: «Wie kommen die Programmierer zu ihrer Entscheidung? Haben sie die Konsequenzen durchdacht? Wenn nicht, wird jedes Gericht sie im Ernstfall als fahrlässig und moralisch unverantwortlich verurteilen.» Und Lin rät, dass die Autoindustrie über ethische Fragen offen sprechen sollte. «Macht sie das nicht, wird dieses Informationsvakuum von anderen mit Spekulationen und Ängsten gefüllt werden.» 

TESLA UND GOOGLE: DER CRASH MACHT UNSICHER

Für einen Aufschrei sorgte im Mai 2016 der erste tödliche Unfall mit einem gerade vom Computer gesteuerten Tesla im US-Staat Florida. Der Wagen war nicht komplett autonom, er fuhr im sogenannten Autopilot-Modus. Dabei handelt es sich um ein ausgeklügeltes Assistenzsystem, das vom Fahrer bewusst angeschaltet werden muss und dann unter anderem Spur und Abstand halten soll. Und der Elektroautobauer fordert die Menschen auf, die Hände nie vom Steuer zu nehmen und die Verkehrslage im Blick zu behalten.

Der Fahrer des Unfallwagens soll jedoch einen Film geguckt haben, als das Auto in einen Lastwagen krachte, der die Straße querte. Die US-Verkehrsbehörde NHTSA stellte in ihrem Untersuchungsbericht fest, das Assistenzsystem habe wie zugesichert funktioniert, der Fahrer hätte sich aber nicht auf die Technik verlassen dürfen.

Auch Roboterwagen geraten in Unfälle - meistens fahren unachtsame Menschen auf die korrekt fahrenden Testautos auf. Anfang 2016 jedoch provozierte ein Google-Auto selbst einen Blechschaden, als es beim Umfahren eines Hindernisses einem Bus in den Weg steuerte.

 

Aktuell sorgt noch fast jeder Zwischenfall für Schlagzeilen. Experten erwarten, dass diese Phase mit mehr Wagen und immer besserer Technik vergehen wird. 2016 jedoch fürchteten sich drei von vier Amerikanern davor, von einem selbstfahrenden Auto durch die Gegend chauffiert zu werden. Auch bei den Deutschen ist die Skepsis groß. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Deloitte haben auch hier 72 Prozent das Gefühl, die Sicherheit im autonomen Modus reiche noch nicht aus. 

 

Dabei war es ausgerechnet ein Deutscher, der die aktuelle Roboter-Wagen-Welle entscheidend anschob: Sebastian Thrun war Professor für Künstliche Intelligenz in Stanford und entwickelte dort den autonomen Wagen Stanley auf Basis eines VW Touareg. Mit ihm gewann Thrun 2005 die DARPA Grand Challenge, einen Wettbewerb des US-Verteidigungsministeriums. Daraufhin engagierte ihn Google, um für den Konzern den ersten Prototypen zu bauen.

Google startete 2009 Tests mit Roboter-Wagen auf der Straße und setzte mit dem Projekt auch etablierte Autokonzerne unter Zugzwang. Seit kurzem stellt die Google-Schwesterfirma Waymo Familien selbstfahrende Minivans für den Alltag zur Verfügung. Zu den ersten 100 gemeinsam mit dem Hersteller Chrysler umgebauten Fahrzeugen sollen 500 weitere hinzukommen.

 

Dirk Wisselmann. Foto: BMW AG
Dirk Wisselmann. Foto: BMW AG

Auch die großen deutschen Autobauer forschen im Silicon Valley und sind mit Testlizenzen unterwegs. So will BMW 2021 gemeinsam mit Intel ein vollautonomes Auto auf die Straße bringen.

Der Mann für ethische Fragen im BMW-Konzern, Dirk Wisselmann, berichtet, dass man viel an Szenarien arbeite, wie sie der Philosoph Lin entwirft. Zugleich versichert er, dass ein Algorithmus - also eine Computerregel - mit Wertungen wie «Kind geht vor Großmutter» niemals in ein deutsches Auto hinein programmiert werden dürfte. «Das verstößt gegen das Grundgesetz. Die Antwort kann immer nur lauten: Sachschaden vor Personenschaden.»

Für Wisselmann ist das Szenario zunächst ein einfacher technischer Algorithmus: «Das Auto erkennt, dass vor ihm ein Objekt ist und wird daraufhin sofort bremsen und dann versuchen, noch nach links oder rechts auszuweichen.»

 

Weil allgemein davon ausgegangen wird, dass die vollautonomen Wagen oft eher langsam unterwegs sein werden, sieht Wisselmann keine große Gefahr für Fußgänger. «Bei 30 Kilometer pro Stunde in der Innenstadt ergibt sich ein Bremsweg von etwa 4 Metern. Bei dieser Geschwindigkeit bleiben etwa 50 Zentimeter, die ein Auto nach links oder rechts ausweichen könnte. Also, wie realistisch ist dann ein solch dramatisches Szenario noch?» 

Mirko Franke. Foto: Bosch
Mirko Franke. Foto: Bosch

 

NICHT ALLES MACHEN, WAS GEHT

Mirko Franke, Entwickler bei Bosch, sieht sich stärker in der Moral-Zwickmühle: «Technisch sind wir längst so weit, dass die Sensoren gut erkennen, was sich um das Auto herum tut. Eine etwa einen Meter große Person ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Kind, jemand mit einem Stock wahrscheinlich ein älterer Mensch. Wir könnten all das also heute schon berücksichtigen. Aber wir tun es nicht.» Das Auto solle nur einen Fußgänger erkennen, mit dem ein Unfall zu vermeiden ist, und zum Beispiel mit einer Notbremsung auf ihn reagieren, egal ob Oma oder Kind.

«Wir weisen unsere Entwickler nicht an, in einer solchen Dilemma-Situation Schicksal zu spielen und hart rein zu coden, dass das Leben eines Kindes mehr wert sei als das einer älteren Frau», betont Franke. «Was ethisch ist und was nicht, ist eine gesellschaftliche Frage, das können wir nicht als Unternehmen festlegen. Deshalb begrüßen wir auch die Einrichtung einer Ethikkommission in Deutschland und warten hier auf die Empfehlungen.» 

Alison Chaiken. Foto: privat
Alison Chaiken. Foto: privat

 

Die Deutschen sind gewohnt vorsichtig. US-Wettbewerber wie Tesla und Waymo wollen sich zum Thema Ethik erst gar nicht äußern. Und dann sind da noch die vielen Start-ups. So wie Peloton. Die Firma entwickelt führerlose Lastwagen für das sogenannte Platooning. Dabei sollen Fahrzeuge automatisch gesteuert in Kolonne fahren. Ziel: den Treibstoffverbrauch und das Unfallrisiko zu senken.

Software-Entwicklerin Alison Chaiken sagt: «Ingenieure wollen coole Sachen bauen und kümmern sich nicht so sehr um die Konsequenzen.» Die Frage nach dem Unfallszenario des Philosophen Lin erstaunt Chaiken: «Als ich meinen Führerschein gemacht habe, wurde ich niemals gefragt, wie ich mich im Ernstfall zwischen einem achtjährigem Mädchen und der achtzigjährigen Großmutter entscheiden würde. Und jetzt fahre ich schon 35 Jahre Auto und bin noch nie in einer solchen Situation gewesen.» 

Typisch Silicon Valley, sagt dazu Stefano Marzani, italienischstämmiger Programmierer aus einem Auto-Start-up. Er hat jüngst eine Debatterunde mit dem Namen «Tech Ethics» gegründet. Dazu lädt er Experten ein, um vor Gästen über brennende Fragen bei neuer Technik zu diskutieren. «Die Start-ups hier denken alle nur an Lokalisierung, Umgebungserkennung und Kostenfunktionen. Niemand von denen kümmert sich um die Moral. Aber das sollten sie, denn das wird eine Revolution», meint Marzani.

  

 

IST EIN NOTFALLKNOPF DIE LÖSUNG?

Nach den ersten Kollisionen wird über Roboter-Autos zumindest schon diskutiert. Dabei ist immer wieder vom großen roten Not-Knopf die Rede. Damit könnte der Mensch beim hochautomatisierten Fahren im Krisenfall die Kontrolle wieder übernehmen. Aber wie realistisch ist das? BMW hat es getestet: «Wir haben über 400 Fahrsimulationsversuche gemacht, wo wir Realfahrer - natürlich unter Laborbedingungen - mit solchen Situationen konfrontiert haben», sagt Wisselmann.

«Man schickt den Fahrer dabei in die komplette Ablenkung, zum Beispiel liest er ein Buch, wenn plötzlich ein Warnton im Auto ertönt. Der Fahrer muss sich dann in kürzester Zeit orientieren und ein Manöver einleiten, also bremsen oder ausweichen», so der deutsche Experte. «Die Ergebnisse waren erstaunlich, die Schnellsten brauchten in einfachen Situationen nur zwei bis drei Sekunden.»

Stanford-Professor Gerdes hält menschliches Eingreifen dagegen für keine gute Idee. «Die meisten Unfälle werden heute dadurch verursacht, dass wir Menschen falsch auf unvorhergesehene Situationen reagieren.» Mit dem Notfallknopf bekomme man die Kontrolle zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt. «Nein, das Auto sollte seine eigenen Entscheidungen treffen können oder zu einem sicheren Stand kommen.»

Sein Philosophen-Freund Lin bleibt skeptisch. Einerseits könne der Computer in Gefahrenlagen Unfälle vermeiden. Andererseits bedrohe das Roboter-Auto die menschliche Würde: «Wenn wir die Entscheidung über Leben oder Tod dem Computer überlassen, schließen wir uns selbst von jeglichem weiteren Nachdenken darüber in Zukunft aus.» 


Hintergrund: Neues Gesetz zum Automatischen Fahren in Deutschland

 

Deutschland gibt Gas bei der Zulassung des automatischen Fahrens. Ende März machte der Bundestag den Weg dafür frei, dass in Autos künftig Computer Fahrfunktionen übernehmen dürfen. Der Mensch am Steuer muss aber immer eingreifen können. Der Entwurf von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) muss noch durch den Bundesrat, der sich am 12. Mai mit dem Thema beschäftigen wollte.

Das neue Gesetz soll die Zulassung von Autos erlauben, bei denen technische Systeme zeitweise die Steuerung kontrollieren. Der Fahrer soll dann die Hände vom Lenkrad nehmen können - etwa um im Internet zu surfen. Dabei muss er jedoch im Notfall jederzeit wieder Steuer und Bremsen in Sekundenschnelle bedienen können. Zum reinen Fahrgast kann der Autofahrer also vorerst bei uns nicht werden. Zudem soll das Computer-Auto eine Art Blackbox wie im Flugzeug bekommen, in der Fahrdaten über drei Jahre gespeichert werden.

Verbraucherschützer warnen vor zu viel Verantwortung des Fahrers. Es dürfe nicht vollmundig mit einem Autopiloten geworben werden, wenn die Systeme ständig überwacht werden müssten. Bei Fragen nach dem Haftungsrisiko stellt Minister Dobrindt klar: «Wenn der Computer fährt, dann haftet am Schluss der Hersteller.» Datenschützer wollen zudem genauer wissen, welche Informationen konkret im elektronischen Fahrtenschreiber gespeichert werden dürfen.

Der Druck von der Industrie, schnell den gesetzlichen Rahmen für das automatische Fahren zu schaffen, ist groß. Fast alle Hersteller haben erste Systeme wie Einparkhilfen, Stau- und Spurhalte-Assistenten und Bremshilfen auf dem Markt.

Im Herbst 2016 hatte Dobrindt eine Ethikkommission einberufen, die bis zum Sommer Regeln für Roboter-Autos aufstellen soll. Daran sollen sich Programmierer orientieren können.

Unter dem Vorsitz des früheren Verfassungsrichters Udo Di Fabio beraten Juristen, Ingenieure und Philosophen, wie die Verantwortung hinterm Steuer künftig organisiert werden soll. Dabei gelten zwei Grundsätze: Sachschaden geht immer vor Personenschaden. Und es darf in Deutschland keine Klassifizierung von Menschen geben, etwa nach Größe oder Alter.

Für Dobrindt ist automatisches Fahren nichts Geringeres als «die größte Mobilitätsrevolution seit der Erfindung des Automobils». Allerdings stehen rund zwei Drittel der Menschen in Deutschland dieser Technik grundsätzlich misstrauisch gegenüber. Nach einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung befürchten sie Unfälle, den Verlust der Kontrolle über das Auto und Hacker-Angriffe auf die Technik. 


Hintergrund: Wie ein intelligentes Auto lernt

 

Um einem selbstfahrenden Auto beizubringen, wie zum Beispiel ein Fußgänger aussieht, liest der Hersteller anfangs Tausende Bilder von Fußgängern in die Datensammlung des Rechners ein. Mit diesen Aufnahmen kann der Computer trainieren. Schon bald ist er in der Lage, auf neuen Bildern Menschen selbstständig zu erkennen - oft verlässlicher als das menschliche Auge.

Zusätzlich füttert man den Rechner mit wichtigen Informationen, zum Beispiel mit der kompletten Straßenverkehrsverordnung und mit Hunderten von Szenarien und Regeln. Ein Beispiel: «Wenn ein Ball auf die Straße rollt, bremse ab: Es könnte ein Kind hinterher laufen.» Dabei gilt: Je mehr Situationen trainiert werden, desto besser wird der Algorithmus - also eine Folge von Handlungsanweisungen.

Das Erkennen der Umgebung entwickelt sich in den letzten Jahren rasant weiter, seit Rechner die Methoden der Künstlichen Intelligenz
- kurz KI - und des Deep Learning nutzen. Das heißt, statt in das Auto hinein zu programmieren, wie es in jeder einzelnen Situation reagieren soll, lässt man es selbst lernen. Künstliche sogenannte neuronale Netzwerke entdecken die Welt wie ein Kind ab der Geburt Stück für Stück. Das Auto lernt durch Beobachtung menschlicher Fahrer und begreift schnell: Ich darf vor allem nirgendwo gegenfahren.