Das Pflaster, das vor dem Herzinfarkt warnt. Die Smartphone-App, die Hautkrebs erkennen kann. Der Heimroboter, der den Notarzt ruft: Im Silicon Valley wird unser Gesundheitssystem auf digital umprogrammiert. Streamen wir bald alle live aus unseren Körpern? Ein Interview mit dem Arzt Daniel Kraft, der an der kalifornischen Singularity University exponentielle Medizin lehrt.
Herr Kraft, Sie tragen allein drei verschiedene Wearables am Handgelenk, die Ihren körperlichen Zustand tracken. Warum darf Medizin keine Angst vor Tech haben?
Daniel Kraft: Bisher konzentriert sich unser Gesundheitssystem auf Krankheiten. Wir warten auf den Herzinfarkt, dann erst reagieren wir. Kein Wunder, wir sammeln ja auch nur sehr lückenhaft Daten über unseren Körper: Ab und zu mal ein Bluttest, mal ein EKG, und wahrscheinlich nutzt unser Arzt noch ein Faxgerät. In Zukunft können wir durch neue Technologien Gesundheitsdaten sehr viel kontinuierlicher erfassen: Bodysensoren, Heimlabore, Genetik, Künstliche Intelligenz und Big Data - das alles wird schneller, billiger und für jeden zugänglich. Und das hilft der Medizin, mehr proaktiv zu agieren, Krankheiten früher zu erkennen und Therapien besser zu personalisieren.
Werden wir dann alle unser eigener Arzt?
Daniel Kraft: Nein, aber vielleicht werden Sie sowas wie der Geschäftsführer Ihres Körpers, der Co-Pilot der eigenen Gesundheit, der in Abstimmung mit seinen Ärzten arbeitet. Sie warten nicht mehr darauf, dass Ihr Arzt Ihnen sagt, was zu tun ist. Sondern Sie überwachen sich mit Hilfe der neuen Technik selbst und im Ernstfall leuchtet irgendwann wie in Ihrem Auto eine Warnlampe auf, die sagt: Da stimmt was nicht mit Ihrem Motor.
Was wird dann aus der Arzt-Patienten-Beziehung?
Daniel Kraft: Die kann sich sogar verbessern und das, obwohl sich Arzt und Patient nicht mehr so häufig sehen werden. In den USA experimentieren wir mit Telemedizin: Nach einer OP kann der Arzt über die Kamera Ihres Telefons die Wunde begutachten. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz können wir Ihre Gewichtsentwicklung verfolgen. Und Ihnen jederzeit eine Mitteilung schicken: Machen Sie mehr Sport! Oder: Nehmen Sie Ihre Medizin. Dafür müssen wir uns nicht sehen.
Worauf müssen sich die Ärzte selbst einstellen?
Daniel Kraft: Einige medizinische Fachgebiete, wie zum Beispiel die Dermatologie, die Radiologie oder die Pathologie, werden sich dramatisch verändern. Da musste ein Arzt bisher über Jahre lernen: Ist das ein normales Röntgenbild oder ist da eine Verletzung, ist das ein normaler Hautausschlag oder ein Melanom? Inzwischen kann sowas von Künstlicher Intelligenz beantwortet werden. Es gibt die erste Smartphone-App, die Hautkrebs erkennen kann. Durch maschinelles Lernen wird sie immer besser. In London haben gerade Chirurgen mit Hilfe virtueller Realität die weltweit erste Krebs-OP durchgeführt, Medizinstudenten sahen mit einer VR-Brille live zu - besser kann man nicht lernen. IBM’s Künstliche Intelligenzmaschine Watson kann inzwischen mit einer Krebs-Diagnose gefüttert werden und wählt dann aus Milliarden medizinischer Studien und Dossiers im Internet die passgenaue Therapie aus. Diese Recherche könnte kein Arzt aus Fleisch und Blut leisten.
Das wird Jobs kosten …
Daniel Kraft: Nein, das glaube ich gar nicht. Stattdessen stelle ich mir vor, dass Krankenschwestern, Ärzte und Apotheker ihren Job auf einem sehr viel höheren Niveau machen können, statt immer nur Erkältungen und Rückenschmerzen zu behandeln. Schließlich kann manche Beschwerden schon ein Algorithmus lösen: Wenn Sie Fieber und Bauchschmerzen haben, checken Sie selbst zuhause Ihren Urin mit einem einfachen Test, den eine App auswertet. Und selbst wenn er positiv ist, können Sie sich den Gang zum Arzt sparen: Bald wird Ihnen eine Drohne das Antibiotikum liefern. All das wird die Zahl der unnötigen Arztbesuche reduzieren.
Werden wir zum gläsernen Patienten?
Daniel Kraft: Die großen Datenmengen, die wir alle aus unseren Körpern über unsere Smartphones streamen werden, sind tatsächlich die größte Herausforderung. Was machen wir damit? Privatsphäre ist ein großes Thema, gerade in Deutschland. Ich glaube, die meisten Patienten würden gerne ihre genetischen Informationen und Laborwerte freigeben, um sich selbst und anderen zu helfen. Medizinische Forschung braucht dieses “Crowdsourcing”. Das funktioniert ein bisschen wie das Fahren mit Google Maps: Weil viele ihre Nutzerdaten teilen, bekommen alle eine verlässliche Routenplanung. Auch beim Thema Gesundheit sollten Menschen sich freiwillig dafür entscheiden können, ein “Datenspender” zu sein. Dazu werden neue ethische Fragen auftauchen: Was, wenn Ihr Herzschrittmacher oder Ihre Insulinpumpe gehackt werden? Die Regulierung hängt der technischen Entwicklung meist hinterher. Meine Sorge ist, dass die Angst den Fortschritt bremst.
Text und Video für zdf heute.de:
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